35mm,  André,  BeLOMO,  Messsucherkamera,  Review

Belomo Vilia – wie eine Mantaplatte vom Pott

Belomo Vilia – wie eine Mantaplatte vom Pott. Wer heute an einem „modernen“ Imbiss eine Currywurst mit Pommes bestellt, wird vor der Zubereitung unweigerlich mit einem verbalen Fragenkatalog konfrontiert, der es in sich hat. Nicht nur die Fleischauswahl will genannt werden, vielmehr sind es die unendlichen Möglichkeiten an Saucen und Gewürzen, die der Konsument dem „Livestylegastronom*in“ in einfachen, aber schnellen Antworten zusagen muss, um am Ende ein Produkt zu erhalten, das den kulinarischen Horizont auf vermeintlich neueste Weise beflügeln soll. Ähnlich gestrickt ist es heute in der modernen Fotowelt. Hier möchte die Anleitung und Software nebst Menüführung mehr studiert sein, als das tatsächliche Fotografieren!

Ganz anders die Belomo Vilia. Sie ist eher die banale gute alte „Mantaplatte“, das „Foto-Retrobrikett“ aus der Plastikschale der „riechenden“ Frittenschmiede um die Ecke! Garantiert lieblos auf der fettigen Glastheke serviert, aber stets mit einem „flotten“ Spruch! Der intensive Genuss ist zweitrangig, vielmehr wird die sofortige Dopaminausschüttung ohne „Schnickschnack“ vom Esser und seinem Gehirn verlangt.

 

 

Eine Fotowissenschaft braucht die Belomo Vilia nicht. Hier heißt es: Kleinbildfilm einlegen, ASA einstellen und Entfernung und Belichtungszeit grob abschätzen! Das Glasobjektiv (Triplet-69-3) ist dabei recht gutmütig in seiner Fokussierung, und für die erweiterte Belichtungswahl stehen auch noch einstellbare Wettersymbole im Sucherfeld zur Verfügung.

 

 

Nur der Spannhebel ist die Achillesferse. Dieser hat so seine Eigenarten, denn oftmals wird der Film nicht ordnungsgemäß weitertransportiert.

Auch wenn nicht alles perfekt ist: Fotografieren mit der Vilia ist wie essen und kleckern an der Pommesbude! Nichts fühlt sich wirklich edel an, vergleichbar mit den bunten Plastikgabeln, die früher viel zu klein und immer bruchgefährdet waren. Aber es scheint zu funktionieren! Und je öfter man es benutzt, desto weniger möchte man es missen!

Das Fotografieren selbst fühlt sich richtig gut und normal an – und sieht sogar später in der Fototasche auch halbwegs gut aus! – Versehentliche Doppelbelichtungen oder (teils) unscharfe oder überbelichtete Bilder werden ebenso akzeptiert wie die damals viel zu dünnen Servietten, die einem nach dem Essen an der Bude zwangsläufig eine zweite Haut auf die Lippen transplantierten.

 

 

Gebaut wurde die Belomo Vilia Typ 1 von 1973 bis 1986 in der ehemaligen Sowjetunion. (MMZ-Minsk, Belarus) Auf der Unterseite kann man die Prägung (USSR) deutlich sehen. Die Mischung aus Plastik und Metall gefällt mir gut. Auf der Rückseite gibt es zwei manuelle Reminder – hier kann man am großen oder kleinen Stellrad die Gegebenheiten rein zur Erinnerung einstellen. Eine weitere Funktion gibt es nicht.

 

 

Jedes Jahr am zweiten Septemberwochenende verwandelt sich der Hafen von Elburg in den Niederlanden während der Tage des offenen Denkmals in eine Zeitreise in die Vergangenheit. Moderne Schiffe machen Platz für fast die gesamte (Holz-)Botterflotte der Niederlande. Gut, dass Silke und ich die Vilia dabei hatten, denn das war genau der richtige Zeitpunkt, um sie ein wenig auszuprobieren. Auch die Canon Epoca 135 war an diesem Tag zum Testen dabei 🙂  Zufälligerweise war ein paar Kilometer weiter im „Foundation Dutch Artillery Museum“ ebenfalls Tag des offenen Denkmals. So kehrte die Vilia sozusagen doppelt in eine fast vergessene Zeit zurück.

 

 

 

Fazit: Die Vilia ist eine einfache und unauffällige Kamera mit einer gewissen Eigendynamik, die dem damaligen Amateur genau das bot, was er von einer Vilia erwartete. Nicht mehr und nicht weniger. Die Fotos sind (gemessen am Baujahr der Kamera) in Ordnung, sehr ehrlich, aber nie von gleichbleibender Qualität. Die Belomo Vilia ist wie eine etablierte Currywurst mit Pommes aus dem Ruhrgebiet. Ein Mittel zum Zweck oder eine schnelle Leckerei, jedoch mit unterschiedlichen Qualitäten und optischen Darbietungen, ohne aber richtig zu enttäuschen. So wie die alte Pommesbuden-Kultur in meinen Erinnerungen bleiben möchte, so hat sich auch die Belomo Vilia bereits fest in meine Retro-Kamerakultur integriert.

 

 

 

 

Kommentare

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert