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Mamiya 35 EE Merit – Auf zur Himmelstreppe!

Oh, ist die schön! Das waren meine ersten Worte über die Mamiya 35 EE Merit. Dafür, dass sie um 1962 in Japan gebaut wurde, war die Kamera auch noch in einem wunderbar gutem Zustand. Merit bedeutet so viel wie „gute Eigenschaften“, jene „Versprechen“, die ich natürlich so schnell wie möglich ausprobieren wollte.

Um das zu testen, beschloss ich, eine weitere Halde am Rande des Ruhrgebietes zu besuchen. Denn davon haben wir in unserer Region durch den ehemaligen Bergbau mehr als genug! Meine Wahl fiel auf die Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn.

 

 

Norddeutschland ist die Nachbarhalde der Halde Rheinpreußen, die ich bereits mit der Nikon TW Zoom besucht habe. Ein bisschen Panorama und Wind um die Ohren kann mir und der Mamiya 35 EE Merit sowieso nur guttun.

Die Mamiya 35 EE Merit ist schon eine bemerkenswerte Kamera. Zumal sie vom Hersteller Mamiya in vielen Varianten und unter verschiedenen Markennamen (Mansfield Eye-Tronic und als Honeywell Electric Eye) gebaut und verkauft wurde. Die Unterschiede sind recht vielfältig: Die Position des Mamiya-Logos, der Sucherrahmen, die Bezeichnung EE oder die Form des Filmzählfensters variieren ständig, sodass es nicht einfach ist zu wissen, welches Modell man nun tatsächlich in seinen eigenen Händen hält. Die Bedienungsanleitung ist sehr universell und somit auch kein wirklicher Wegweiser.

 

 

Die Tatsache, dass Mamiya im selben Jahr auch eine optisch nahezu identische „Super Merit“ auf den Markt brachte, macht den interessierten Anwender zwangsläufig auch ein wenig zum „Sherlock Holmes“ der Mamiya Firmengeschichte. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass es sich bei unserer Mamiya 35 EE Merit um eine „abgespeckte“ Variante handelt, da sie im Gegensatz zur „Super Merit“ nur über einen Zonenfokus verfügt. Optisch ist sie eher minimalistisch gestaltet. Durch die Selenzellen, die die Linse am Objektiv umgeben, erhält die Mamiya 35 EE Merit jedoch eine wunderbare und einzigartige Eigencharakteristik.

 

 

Charakteristisch ist auch die Halde Norddeutschland. Sie ist mit ca. 90 ha eine der flächenmäßig größten Halden am Niederrhein und wird heute auf dem Haldenplateau auch gerne als Sport- und Veranstaltungsstätte genutzt. Stufe für Stufe „meisterte“ ich die berühmte Himmelstreppe zum Haldengipfel. Die Treppe hat insgesamt 359 Stufen und ist in mehrere Abschnitte (5 Treppen) unterteilt. Sie ist der kürzeste, aber auch der steilste Weg nach oben.

 

 

Die Halde Norddeutschland wurde von 1952 bis 2001 verfüllt und gehört zu den aktiv brennenden Halden, bei denen sich die Restkohle im Abraum durch Wärmestau in der Tiefe selbst entzündet hat. Wenn Kohle unter Druck steht und mit Sauerstoff reagiert, kommt es zur Selbstentzündung und es entstehen die so genannten Schwelbrände. Dabei sind Temperaturen von mehreren hundert Grad Celsius möglich. Diesen Vorgang nennt man übrigens „gefrittetdie Kohle und das Gestein werden „gefrittet“! Früher wurde so ein „gefrittetes“ Ergebnis bewusst herbeigeführt. Das dabei entstehende rote, krümelige oder klumpige Material (je nach Steinart) wurde früher unter anderem gerne als Asche für Fußballplätze verwendet. Fans von Borussia Dortmund der älteren Generation kennen vielleicht noch den Begriff „Kampfbahn Rote Erde“, (heute nur noch „Rote Erde“) nach dem das damalige Stadion benannt worden ist, wo bis 1974 die Heimspiele der Borussen auf dem dort rötlichen Aschenplatz ausgetragen wurden. Die sogenannten Schwelbrände auf der Halde werden noch sehr viele Jahrzehnte aktiv tätig sein. Sehen oder fühlen kann man sie nicht. Auch werden die Brände im Inneren genauestens kontrolliert.

 

 

In den Tiefen der Mamiya 35 EE Merit lodert hoffentlich auch noch das Feuer! Nach meiner Ankunft auf dem riesigen Plateau hieß es nun die Kamera mit einem (abgelaufenen) Film zu beladen und weiter die Umgebung zu inspizieren! Schön anzusehen ist auf jeden Fall das Innenbild des Suchers. Bei meinem Modell ist die Durchsicht sehr klar und sauber und der Sucher zeigt je nach Wahl des Zonenfokus am Objektiv direkt das entsprechende Piktogramm im Inneren an. Die Selenzellen funktionieren 1A, sodass ich mich für die Blendenautomatik (rotes „A“ für AUTO) einschied.

 

 

Das „Einfädeln“ des Kleinbildfilms war allerdings eine echte Herausforderung. Immer wieder gab der Widerstand des Filmtransporthebels beim ersten „Aufzug“ nach, sodass ich es erneut versuchen musste. Das ganze Phänomen wiederholte sich mehrmals, aber wir Analogfreunde betrachten solche Kleinigkeiten natürlich als zusätzliche Entschleunigung in unserem Hobby!!! Mein bemerkenswert ehrliches Gedächtnisprotokoll verrät zugleich, dass es mit der Entschleunigung vor Ort wohl anders aussah. Aber: – was kümmert mich mein eigenes Protokollgeschwätz von gestern 😉 Der Film war irgendwann richtig eingespannt und alles an der Mamiya 35 EE Merit lief danach so butterweich, als käme sie direkt aus der Fabrik. Klasse!

 

Tipp: Der Filmzähler hat auch eine kleine Besonderheit. Er zählt rückwärts. Deshalb sollte der Filmzähler gleich zu Beginn auf die richtige Anzahl der möglichen Bilder eingestellt werden. Wird diese Kleinigkeit nicht beachtet, erscheint vom ersten bis zum letzten Bild das Symbol -END- im Sucher. 

 

 

 

Das Haldenplateau ist hügelig und es erstrecken sich weite Wiesen und Wanderwege. Für einen Flachland-Heini wie mich sind die 102 Meter über dem Meeresspiegel und die Aussicht natürlich beeindruckend! – Und ganz nebenbei stehe ich auch noch auf 80 Millionen Tonnen Abraum!

 

 

Das Highlight der Halde ist das Hallenhaus. Dieses Stahlgerippe auf einer Kuppe ist ein Kunstwerk der niederländischen Gruppe „Observatorium“, die auch andere Landmarken und Objekte im Ruhrgebiet gestaltet hat. Es symbolisiert ein typisches niederdeutsches Fachwerk-Hallenhaus.  Abends beleuchtet und stets von weitem zu sehen! Im Sommer ist hier natürlich mehr los. Neben Paragleiter, Drachenflieger, Mountainbiker und Besucher gibt’s es sogar auch ausgewählte Konzerte oder Festivals.

 

 

Funfakt: Der schwarze Bezug der Mamiya 35 EE Merit sieht auf dem ersten Moment relativ normal aus. Schaut man jedoch etwas genauer, so erkennt man viele kleine »M«. Ob es für Mamiya steht, oder eine zufällige Erscheinung ist, wird mir für heute ein Rätsel bleiben. Vielleicht wisst Ihr ja mehr? Über Informationen in den Kommentaren würden wir und sehr freuen!

 

 

Ich fotografierte ein bisschen umher, spazierte und genoss die Aussicht und den nicht zu unterschätzenden kalten Februarwind. Die Mamiya 35 EE Merit funktioniert einwandfrei, sodass schnell viele Bilder im Kasten waren. Eine Wiese hier, ein Stahlwerk in der Ferne oder das Skelett vom Hallenhaus.

 

 

Fazit: Die Mamiya 35 EE Merit ist eine unaufdringliche Kamera. Ihre sympathische Erscheinung und ihre tadellose Arbeitsweise machen sie zu einer ausgezeichneten Begleiterin. Spektakuläres sucht man vergebens, doch die Resultate können trotz abgelaufenen Films überzeugen! Das Erscheinungsjahr 1962 war zweifellos kein einfaches Jahr. Neben Krisen und dem Säbelrasseln mächtiger Staaten hat die Mamiya 35 EE Merit zu Recht einen guten Absatzmarkt in Europa gefunden. Merit macht ihrem Namen alle Ehre!

 

 

 

 

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